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Eric Laurent

Eric Laurent hat die folgenden acht Prinzipien in Rom im Juli 2006 vorgetragen :

Erstes Prinzip:

Die Psychoanalyse ist eine Praxis des Wortes. . Die beiden Partner der Analyse sind der Analytiker und der Analysand, die in derselben Sitzung gegenwärtig sind. Der Analysand spricht von dem, was ihn in die Analyse führt, von seinem Leiden, seinem Symptom. Dieses Symptom ist an die Materialität des Unbewussten gebunden, gebaut aus Dingen, die dem Subjekt gesagt worden sind, die ihm weh getan haben, und aus Dingen, die unmöglich gesagt werden können, Dingen,  an denen das Subjekt leidet. Der Analytiker unterstreicht das Sagen des Analysanden und erlaubt es ihm, den Stoff seines Unbewussten zu weben. Das Vermögen der Sprache und ihre Wahrheitseffekte, das heisst das, was man Deutung nennt, ist das Vermögen  des Unbewussten.  Die Deutung manifestiert sich auf der Seite des Analysanten und des Analytikers. Die beiden haben jedoch nicht dasselbe Verhältnis zum Unbewussten, da der eine die Erfahrung bereits gemacht hat, der andere nicht.

Zweites Prinzip:

Die psychoanalytische Sitzung ist ein Ort, an dem die hartnäckigsten Identifizierungen, durch welche das Subjekt fixiert ist, gelockert, entzerrt werden können.
Der Psychoanalytiker gestattet diese Distanz zu den Gewohnheiten, Normen, Regeln, zu denen sich der Analysand ausserhalb der Sitzungen zwingt.  Er erlaubt das radikale Infragestellen der Grundlagen der Identität jedes einzelnen. Er kann die Radikalität dieser Infragestellung mässigen, indem er der klinischen Besonderheit der Subjektes, das sich an ihn wendet, berücksichtigt.

Drittes Prinzip:

Der Analysand richtet sich an den Analytiker. Er  schreibt ihm Gefühle, Uberzeugungen, Erwartungen als Reaktion auf das, was er sagt, zu und möchte diese Uberzeugungen und Erwartungen, die er vorausnimmt, beeinflussen. Nicht nur die Entzifferung des Sinnes im Austausch zwischen Analysand und Analytiker sind im Spiel. Derjenige, der spricht, hat ein Ziel, ein Streben. Es geht darum, beim Gesprächspartner etwas Verlorenes zurückzugewinnen.  Diese Zurückgewinnung des Objektes gibt den Schlüssel zum Freudschen Mythus des Triebes. Sie begründet die Übertragung, die die beiden Partner  bindet. Die Formel Lacans, nach der das Subjekt vom Anderen seine Botschaft in umgekehrter Form empfängt, beinhaltet die Entzifferung und den Willen, auf den anderen, an dem man sich wendet, zu wirken. In letzter Instanz – wenn der Analysand spricht, will er, jenseits des Bedeutung dessen, was er sagt, im Anderen den Partner seines Erwartungen, seiner Überzeugungen seiner Wünsche erreichen. Er  will den Parnter seines Fantasmas treffen. Der Psychoanalytiker, der durch seine Erfahrung die Natur seines eigenen Fantasmas kennt, trägt dessen Rechnung. Er hütet sich davor, in dessen Namen zu handeln.

Viertes Prinzip:

Das Band der Übertragung setzt einen Ort  voraus, den Ort des Anderen, wie Lacan sagt. Dieser Ort ist durch keinen besonderen anderen geregelt. Es ist der Ort, an dem das Unbewusste sich in der grössten Freiheit zu sagen manifestiert, und demnach  alle die dazu gehörigen Täuschungen und Schwierigkeiten erfahren kann. Dies ist auch der Ort, an dem die Figuren des Partners des Fantasmas sich in ihren komplexesten Spiegelspielen entfalten können. Deshalb ertrâgt die psychoanalytische Sitzung eine dritte Person und ihren Blick, der sich von aussen in den ablaufenden Prozess einmischt, nicht. Die dritte Person reduziert sich auf diesen Ort des Anderen.

Dieses Prinzip schliesst also jeden Eingriff eines autoritären Dritten aus, der jedem einen Platz zuweisen oder ein Ziel setzen wollte, das vor der psychoanalytischen Behandlung festgesetzt wäre. Der bewertende Dritte schreibt sich in die Serie der Dritten ein, dessen Autorität von aussen festsetzen wûrde, was sich zwischen dem Analysanden, dem Analytiker und dem Unbewussten abspielt.

Fünftes Prinzip:

Es gibt keine Standardkur, kein allgemeingültiges Protokoll, das die Sitzung und die psychoanalytische Kur regelte.  Freud hat die Metapher des Schachspiels gewählt, um anzuzeigen, dass nur der Anfang und der Schluss des Spiels fest geregelt sind. Es ist wahr : die seit Freud formalisierten Logarithmen des Schachspiels haben ihre Macht gesteigert.  Verbunden mit der Rechenkapazität des Computers kann eine Maschine einen menschlichen Spieler schlagen. Das ändert nichts an der Tatsache, dass die Psychoanalyse, im Gegensatz zum Schachspiel, nicht in Algorithmen dargestellt werden kann. Wir sehen dies bei Freud selbst, der die Psychoanalyse mit Einzelfällen überliefert hat : der Rattenmann, Dora, der kleine Hans usw.  Nach dem Wolfsmann hat die Erzählung der Kuren eine Krise erfahren. Freud konne die Komplexität der Prozesse, die in Gang waren, nicht mehr in der Einheit einer Erzählung zusammenhalten. Die Erfahrung einer Kur kann nicht auf ein technisches Protokoll reduziert werden, sie kennt nur eine Sache, die in allen Kuren regelmässig auftaucht : die Originalität des Szenarios, durch die sich die subjektive Einzigartigkeit äussert.  Die Psychoanalyse ist also nicht eine Technik, sondern ein Diskurs, der jeden dazu aufruft, seine Einzigartigkeit, seine Ausnahmestellung zu schaffen.

Sechstes Prinzip : Die Dauer der Kur und der Ablauf der Sitzungen können nicht standardisiert werden. Die Dauer der Kuren Freuds waren sehr verschieden lang. Es gab Kuren, wie die von Gustav Mahler, die eine Sitzung gedauert haben. Andere Kuren haben vier Monate gedauert, wie die des kleinen Hans, ein Jahr, wie die des Rattenmannes, mehrere Jahre wie die des Wolfsmannes. Seither sind die Abweichungen, die Andersartigkeiten der Behandlungen immer bedeutender geworden. Dazu kommt, dass die Anwendung der Psychoanalyse ausserhalb des Sprechzimmers, in Krankenhäusern, Kliniken, Instituten zur Verschiedenartigkeit der Dauer der psychoanalytischen Kur beigetragen hat. Die Vielseitigkeit des klinischen Fälle, der Altersstufe, in der mit der Analyse behandelt wird, macht es heute möglich, von einer Analyse "auf Mass" zu sprechen. Die Kur wird solange geführt, bis der Analysand mit seiner Erfahrung so zufrieden ist, dass er den Analytiker verlassen kann.  Ziel ist nicht die Anwendung einer Norm, sondern das Einverständnis des Subjektes mit sich selbst.

Siebtes Prinzip:

Die Psychoanalyse kann ihr Ziel und ihr Ende nicht in Begriffen  der Anpassung der Einzigartigkeit des Subjektes an Normen, Regeln, Standardbestimmungen der Wirklichkeit definieren. Die Entdeckung der Psychoanalyse ist erst einmal die Entdeckung dessen, dass das Subjekt unfähig ist, die volle sexuelle Befriedigung zu erreichen. Diese Unfâhigkeit trägt den Namen Kastration. Darüberhinaus hat die Psychoanalyse mit Lacan die Unmöglichkeit formuliert, dass es eine Norm des Verhältnisses zwischen de Geschlechtern gebe. Wenn es keine volles Befriedigung une keine Norm gibt, so muss ein jeder sine besondere Lösung erfinden, die sich auf sein Symptom stützt. Die Lösung eines jeden kann mehr oder weniger typisch sein, sie ist mehr oder weniger getragen von  der Tradition oder allgemeinen Regeln. Sie kann eher von dem Willen zum Bruch oder einer gewissen Heimlichkeit, Klandestinität, herkommen. Es bleibt aber wahr, dass es für die Beziehung zwischen den Geschlechtern keine Lösung "für alle" gibt. In diesem Sinne trägt sie das Siegel des Unheilbaren, immer wird etwas fehlen. Das Geschlecht gehört beim sprechenden Wesen zum "nicht ganzen".

Achtes Prinzip:

Die Ausbildung des Psychoanalytikers kann nicht auf die Normen des Universitätsausbildung oder auf in der Praxis erworbene Bewertungen reduziert werden. Seitdem die psychoanalytische Ausbildung als Diskurs gegründet ist, ruht sie auf einem Dreifuss : theoretische Ausbildungsseminare (parauniversitär),  die Weiterführung der Psychoanalyse desjenigen, der Psychoanalytiker werden möchte, bis zum Abschluss der Kur (daher die Wirkungen der Ausbildung), die pragmatische Weitergabe der Praxis in Supervisionen (Gespräch der Partner über die Praxis). Freud hat einen Augenblick an  die Möglichkeit, die Identität des Psychoanalytikers zu bestimmen, geglaubt. Der Erfolg selbst der Psychoanalyse, ihre Internationalisierung,  die vielen Generationen, die  sich seit einem Jahrhundert gefolgt sind, haben gezeigt, dass die Definition einer  Identität des Psychoanalytikers eine Illusion ist. Die Definition des Psychoanalytikers schliesst die Vielseitigkeit dieser Identitiät ein. Sie ist diese Vielseitigkeit selbst. Die Definition des Psychoanalytikers ist keine Ideal, sie schliesst die Geschichte der  Psychoanalyse und all dessen, das in den unterschiedlichen Diskursen Psychoanalytiker genannt worden ist, ein.

Die Benennung "Psychoanalytiker" schliesst gegensätzliche Bestandteile ein. Eine akademische, universitäre oder äquivalente Ausbildung. Notwendig ist auch eine klinische Ausbildung, die ihre Eigenartigkeit unter Kontrolle von anderen Psychoanalytikern weitergibt.. Dazu ist die absolut einzigartige Erfahrung der Kur unerlässlich. Die Ebenen des Allgemeinen, des Besonderen, des Einzigartigen sind heterogen. Die Geschichte der psychoanalytischen Bewegung ist eine Gechichte von Streitigkeiten und Deutungen dieser Heterogenität. Sie gehört auch zur grossen Konversation der Psychoanalyse, die sagen kann, wer Psychoanalytiker ist. Diese Aussage verwirklicht sich durch Prozeduren in Gemeinschaften, welche die psychoanalytischen Institutionen sind. In diesem Sinne ist der Psychoanalytiker nicht alleine, er hängt, wie der Witz, von einem Anderen ab, der ihn anerkennt. Dieser Andere kann nicht auf einen genormten, autoritären, standardasisierten, reglementierten Anderen reduziert werden. Der Psychoanalytiker ist der, der bejaht, dass er von der Erfahrung das erreicht hat, was er erwarten konnte, und dass er eine "Passe", wie Lacan es genannt hat, durchschritten hat. Er zeugt von dem Überschreiten seiner Engpässe. Das Gespräch, durch das er ein Einverständnis mit diesem Übergang erreichen will, findet in institutionnellen Einrichtungen statt. Genauer gesagt, schreibt sich dieses Gespräch in die grosse Konversation der Psychoanalyse mit der Kultur ein.  Der Psychoanalytiker ist kein Autist.  Er richtet sich ständig an den wohlwollenden Gesprächspartner, die aufgeklärte öffentliche Meinung, die er für die psychoanalytischen Sache bewegen und treffen möchte.

Übersetzung von Susanne Hommel



Die umgekehrte Deutung

- Sie sagen nichts?
- Oh doch, ich sage schon etwas. Ich sage, dass das Zeitalter der Deutung hinter uns liegt. Das ist was alle sagen, aber ohne es bislang zu wissen. Und deshalb benötigte diese Tagung über die Deutung eine Deutung.
Das Zeitalter der Deutung liegt hinter uns. Das ist was Lacan wusste, aber er hat es nicht gesagt: er ließ es anklingen, und wir fangen gerade erst an es zu lesen.
Wir sagen "Deutung", wir haben immer nur dieses Wort auf den Lippen, es versichert uns, dass die Geschichte der Psychoanalyse sich in uns fortsetzt.
Aber wir sagen "Deutung" so wie wir "das Unbewusste" sagen, ohne noch länger an das Bewusstsein zu denken, oder es zu verneinen.
Das "Unbewusste", die "Deutung", das sind den Stamm betreffende Worte unter deren Bedeckung der neue Sinn sich maskiert einschleicht.
Was ist das Unbewusste? Wie deutet man das Konzept? - wenn ich es nicht länger mit dem Bewusstsein in Beziehung setze, sondern mit der Funktion des Sprechens im Feld der Sprache. Wer weiß nicht, dass das Unbewusste sich ganz und gar in dieser Verschiebung hält – die Verschiebung, die sich wiederholt zwischen dem was ich sagen will, und dem was ich sage – als ob der Signifikant die programmierte Strecke des Signifikats umleiten würde, und das ist was Stoff zur Deutung bietet – als ob der Signifikant auf seine Art, das was ich sagen will, deuten würde. Es situiert sich hier, in dieser Verschiebung, das was Freud das Unbewusste genannt hat – als ob dieses mein Sagen-Wollen, welches meine Intention der Bedeutung ist, durch ein anderes Sagen-Wollen ersetzt würde, welches das des Signifikanten selbst ist, und das Lacan das Begehren des Anderen genannt hat.
Wie einfach das doch ist ! Wie bekannt das doch ist ! Also, warum hat der Schluss, der sich aus diesem Sagen heraus einschreibt, so lange gebraucht, um an den Tag zu kommen? - nämlich, dass die Deutung nichts anderes als das Unbewusste ist, dass die Deutung das Unbewusste selbst ist.
Warum ist die Deutung nicht in den Grundbegriffen der Psychoanalyse inbegriffen ? - wenn nicht weil sie im Konzept des Unbewussten selbst inbegriffen ist. Die Gleichwertigkeit zwischen dem Unbewussten und der Deutung, ist das nicht das was am Ende des Seminars "Das Begehren und seine Deutung" auftaucht ? - in diesem Paradox- das unbewusste Begehren ist seine Deutung. Die Gleichwertigkeit Unbewusstes/Deutung ist es nicht das, was in der Form des Konzepts des "sujet supposé savoir" (des Subjekts, dem Wissen unterstellt wird) wieder gesagt wird ? Wird dies, dadurch dass ich es heute noch einmal wiederhole, endlich als erworben gelten ?
Es ist eine Täuschung, sogar eine Sackgasse, die Deutung auf die Seite des Analytikers zu vereinseitigen, wie sein Eingreifen, seine Aktion, seinen Akt, sein Gesagtes, sein Sagen. Zweifellos, war man zu sehr vom speech act des Analytikers fasziniert, um die Gleichwertigkeit des Unbewussten und der Deutung, die ich erwähnt habe, zu bemerken - die Zeit der Durcharbeitung (die Zeit-des-Verstehens) hat sich hier auf unberechtigte Weise verlängert. 
Die Theorien der analytischen Deutung zeugen nur vom Narzissmus der Analytiker. Es ist Zeit zu schließen. Die Deutung ist primordial die des Unbewussten, im subjektiven Sinne des Genetivs – es ist das Unbewusste das deutet. Die analytische Deutung kommt als zweites. Sie gründet sich auf die Deutung des Unbewussten, daher der Fehler zu glauben, dass es das Unbewusste des Analytikers ist das deutet.
Wenn man nicht vom a-priori ausgeht, dass das Unbewusste deutet, kommt man immer wieder dahin, was auch immer man sagt, aus dem Unbewussten ein Objekt-Sprache, und aus der Deutung eine Metasprache zu machen. Aber die Deutung ist im Bezug auf das Unbewusste nicht schichtenförmig gelagert; sie ist nicht von einer anderen Ordnung; sie ist im selben Register eingeschrieben; sie ist für dieses Register konstitutif; wenn der Analytiker übernimmt, macht er nichts anderes als das was das Unbewusste macht; er schreibt sich in seine Folge ein; er überführt nur die Deutung aus dem wilden Zustand, in dem sie sich im Unbewussten zeigt, in den durchdachten Zustand, in den er sie zu übertragen versucht.
Zum Klingen bringen, andeuten, anspielen, schweigen, das Orakel sein, zitieren, rätselhaft sein, halb sagen, enthüllen – wer macht das? Wer macht das besser als Sie?  Wer handhabt die Rhetorik wie von Geburt an, während Sie sich plagen, um deren Rudimente zu erlernen? Wer? - wenn nicht das Unbewusste selbst.
Die gesamte Theorie der Deutung hat immer nur ein Ziel verfolgt – Ihnen beizubringen so zu sprechen wie das Unbewusste.
Die minimale Deutung, das "das habe nicht ich dich sagen lassen" ("je ne te le fais pas dire"), was ist das denn? - wenn nicht die Anführungszeichen des Zitates um das was gesagt ist zu setzen, es aus dem Kontext herauszuziehen, um einen neuen Sinn auftauchen zu lassen. Aber ist es nicht das was das Unbewusste des Traumes macht? - wie Freud es bezüglich dessen was er "Tagesreste" nennt entdeckt hat.
Das Unbewusste deutet. Und der Analytiker, wenn er deutet, deutet in dessen Folge. Welcher andere Weg steht ihm am Ende offen? - wenn nicht der, sich selbst mit dem Unbewussten zu identifizieren. Das ist das Prinzip eines neuen Narzissmus, der nicht länger der eines starken Ichs ist. "Sie sagen nichts?" Zweifellos. Schweigen ist hier das kleinere Übel. Denn deuten, das Unbewusste hat nie etwas anderes getan, und es tut dies, im Allgemeinen, besser als der Analytiker. Wenn der Analytiker schweigt, ist es deshalb, weil das Unbewusste deutet.
Aber das Unbewusste will ebenfalls gedeutet werden. Es bietet sich dazu an. Wenn das Unbewusste nicht gedeutet werden wollte, wenn das unbewusste Begehren des Traumes, in seiner tiefsten Phase, nicht das Begehren wäre gedeutet zu werden – Lacan sagt dies- das Begehren Sinn zu bekommen, gäbe es den Analytiker nicht.
Treten wir in das Paradox ein. Das Unbewusste deutet, und es will gedeutet werden. Es gibt hier nur für einen rudimentären Begriff der Deutung einen Widerspruch. Die Deutung verlangt in der Tat immer nach einer Deutung.
Sagen wir es einmal anders: deuten ist entziffern. Aber entziffern ist erneut verziffern. Diese Bewegung hört erst mit einer Befriedigung auf.
Freud sagt nichts anderes, wenn er den Traum als Rede in das Register der Primärvorgänge, als eine Wunscherfüllung einschreibt. Und Lacan entziffert es für uns, indem er sagt, dass das Genießen im Verziffern liegt.
Aber wiederum – in wiefern liegt das Genießen im Verziffern? Von welchem Sein ist es im Verziffern? Und welchen Ort bewohnt es im Verziffern?
Sagen wir es einfach mal abrupt, wie es zu solchen kurzen Vorträgen passt, die den Stil und die Würze dieser Tagung ausmachen – es gibt nichts in der Struktur der Sprache, was es erlauben würde richtig auf die Frage, die ich stelle, zu antworten, es sei denn man korrigierte diese Struktur.
Letztes Jahr habe ich die Zuhörerschaft meines Kurses ermüdet, indem ich sie zwang den Windungen des Weges zu folgen, den Lacan nahm als er versuchte die Libido Freuds in die Struktur der Sprache einzufügen – und genau gesagt an den Ort des Signifikats, womit er dem Genießen, wenn ich es so sagen darf, das wirkliche Sein des Sinnes zuordnete.  
Genießen (jouissance), genossener Sinn (sens joui) – die  Homophonie mit der Lacan uns hier in seinem Text Télévision überrascht, liegt im Prinzip selbst seines begonnenen Programms, wenn nicht bereits mit "Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache", so zumindest mit seinem Entziffern in "Die Instanz des Buchstabens". Dieses Programm besteht darin, die Libido auf das Sein des Sinnes zu reduzieren.
Ich habe bereits die Hauptmomente dieser Ausarbeitung, von denen es fünf gibt, skandiert. Am Ende ist das sogar die Disqualifizierung des Objekts klein a.
So ist das was Lacan "Objekt klein a" getauft hat, der allerletzte Abfall eines grandiosen Versuchs: des Versuchs das Genießen in die Struktur der Sprache einzufügen, auf die Gefahr hin diese auf die Struktur der Rede zu erweitern.
Jenseits öffnet sich eine andere Dimension, wo die Struktur der Sprache selbst relativiert ist, und nur noch als eine Ausarbeitung des Wissens über die "lalangue" erscheint. Der Begriff Signifikant verfehlt es zu ergreifen um was es sich handelt – denn er dient dazu die Wirkung des Signifikats zu ergreifen, und plagt sich damit über das Produkt des Genießens Rechenschaft abzulegen.
Von da an wird die Deutung nie wieder das sein was sie einmal war. Das Zeitalter der Deutung, das Zeitalter in dem Freud die universale Rede durch die Deutung erschüttert hat, ist abgeschlossen.
Freud hat mit dem Traum begonnen, der sich schon immer zur Deutung geeignet hat. Er ging dann zum Symptom über, dem Modell des Traumes nach entworfen, als eine zu entziffernde Botschaft. Bereits auf seinem Weg war er der negativen therapeutischen Reaktion, dem Masochismus und dem Phantasma begegnet.
Das was Lacan auch weiterhin "die Deutung" nennt, ist nicht länger dieselbe, allein deshalb, weil sie sich nicht mehr auf das Symptom bezieht, sondern auf das Phantasma. Und wiederholen wir nicht ständig, dass das Phantasma nicht gedeutet, sondern konstruiert wird?
Das Phantasma ist ein Satz, der genossen wird, eine verzifferte Botschaft, die in sich das Genießen birgt. Das Symptom selbst soll vom Phantasma ausgehend erfasst werden, und das ist was Lacan das "Sinthome" nennt.
Eine Praxis, die im Subjekt auf das Sinthome abzielt, deutet nicht wie das Unbewusste. So wie das Unbewusste zu deuten, das ist im Dienste des Lustprinzips  verbleiben. Sich in den Dienst des Realitätsprinzips zu stellen ändert daran nichts, da das Realitätsprinzip selbst im Dienst des Lustprinzips steht. Im Dienste des Lustprinzips zu deuten – Sie brauchen nicht anderswo das Prinzip der unendlichen Analyse zu suchen. Das ist nicht das was Lacan den "Weg eines wahren Erwachens für das Subjekt" nennt.
Es verbleibt uns zu sagen was jenseits des Lustprinzips deuten sein könnte – ein Deuten im entgegengesetzten Sinne des Unbewussten. Da gilt das Wort der Deutung lediglich als ein Platzhalter für ein anderes, welches nicht das Schweigen sein kann.
Genauso wie wir das Symptom als Referenz aufgeben müssen, zugunsten des Phantasmas, das Symptom vom Phantasma her denken müssen – so müssen wir die Neurose zugunsten der Psychose als Referenz aufgeben, und die Neurose von der Psychose her denken.
Der Signifikant als solcher, das heißt wie die Ziffer, als von den Effekten der Bedeutung getrennt, ruft nach einer Deutung als solchen. Der Signifikant allein ist immer ein Rätsel, und darum sehnt er sich nach einer Deutung. Diese Deutung erfordert die Implikation eines anderen Signifikanten, von dem her ein neuer Sinn auftaucht.
Das ist die Struktur, die ich vor einem Monat in der "Section Clinique" in Buenos Aires, anlässlich einer Tagung über den Wahn und das elementare Phänomen, hervorgehoben habe .
Das elementare Phänomen macht auf eine besonders reine Weise die Gegenwart des Signifikanten 'ganz allein' klar, im Zustand des Leidens - auf den anderen Signifikanten wartend, der ihm einen Sinn gäbe – und in der Regel erscheint der binäre Signifikant des Wissens, der in diesem Falle seine Wahnnatur nicht verdeckt. Man sagt ja so schön : der Deutungswahn.   
Dies ist der Weg jeder Deutung: die Deutung hat die Struktur eines Wahns, und deshalb zögert Freud auch nicht davor den Wahn Schrebers und die Theorie der Libido auf dieselbe Ebene zu setzen, ohne Schichtung.
Falls die Deutung, die der Analytiker dem Patienten zu bieten hat, der Ordnung des des Wahns entspricht, dann ist es tatsächlich wahrscheinlich besser zu schweigen.
Maxime der Vorsicht.
Es gibt noch einen anderen Weg, der weder der des Wahns, noch der des Schweigens aus Vorsicht ist. Dieser Weg, man kann ihn, wenn man will, auch weiterhin "Deutung" nennen, auch wenn er nichts mehr mit dem System der Deutung zu tun hat, es sei denn, dass er seine Kehrseite ist.
Um es kurz zu machen, wie es diese Tagung verlangt : der andere Weg besteht darin den S2 zurückzuhalten, ihn nicht hinzuzufügen mit dem Ziel den S1 zu umschließen. Das heißt das Subjekt zu den eigentlich elementaren Signifikanten zurückzuführen, bezüglich derer es in seiner Neurose einen Wahn konstruiert hat.
Der einzige Signifikant, an sich unsinnig, meint, dass das elementare Phänomen ursprünglich (primordial) ist. Die Kehrseite der Deutung besteht darin den Signifikanten als elementares Phänomen des Subjekts, und als vorherig, bevor er in der Bildung des Unbewussten artikuliert wurde, was den Wahnsinn ergab, einzukreisen.
Wenn die Deutung zum Nacheiferer des Unbewussten wird, wenn sie die subtilsten Mittel der Rhetorik mobilisiert, wenn sie sich ausrichtet nach der Struktur der Bildungen des Unbewussten – dann nährt sie diesen Wahn – da wo es gilt diesen auszuhungern.
Wenn hier entziffert wird, so handelt es sich um ein Entziffern, das keinen Sinn gibt.
Die Psychose, hier wie auch anderswo, legt die Struktur frei. So wie der mentale Automatismus die grundlegende Xenophatie (den Fremdheitswahn) des Sprechens hervorhebt, so ist das elementare Phänomen dazu da den Urzustand der Beziehung des Subjekts zur 'lalangue' auszudrücken. Das Subjekt weiß, dass das Gesagte es betrifft, dass es eine Bedeutung gibt, aber es weiß nicht welche.
Deshalb ruft Lacan besonders hier, wo er in dieser anderen Dimension der Deutung voranschreitet, Finnegans Wake zur Hilfe, und somit einen Text, verwoben mit Verdichtungen, Zweideutigkeiten, Homophonien, der unaufhörlich mit der Beziehung zwischen Sprechen und Schrift, Ton und Sinn spielt. Das hat jedoch nichts mit dem alten Unbewussten zu tun hat. Jeglicher Steppunkt (point de capiton) wird dort hinfällig. Daher  kann dieser Text – trotz aller heldenhaften Bemühungen - weder gedeutet, noch übersetzt werden. Das ist so weil er selbst keine Deutung ist, und auf wunderbare Weise den Leser (Subjekt der Lektüre) zurückführt zur Ratlosigkeit als elementarem Phänomen des Subjekts in der 'lalangue'.
Sagen wir einmal, dass der S1 den S2 immer absorbiert. Die Worte, die den Sinn in eine andere Sprache übertragen würden, werden wie von vornherein vom Text selbst verschlungen, so als ob er sich selbst übersetzte, und deshalb nimmt die Beziehung zwischen Signifikant und Signifikat nicht die Form des Unbewussten an. Sie werden niemals das was Joyce sagen wollte, von dem was er gesagt hat trennen können -   vollständige Übertragung, aber in einer dem Mathem entgegengesetzten Weise.
Der Nulleffekt des elementaren Phänomens wird hier durch einen Alepheffekt  erhalten, der den Weg zum semantischen Unendlichen, oder besser zum Entschwinden des Sinns, eröffnet.
Das was wir noch immer "Deutung" nennen enthüllt, zweifellos, auch wenn die psychoanalytische Praxis immer mehr postinterpretativ wird, aber was ? - wenn nicht eine unreduzierbare Undurchdringlichkeit in der Beziehung vom Subjekt zur 'lalangue'. Und daher ist die Deutung – die Postinterpretation – genau gesagt keine Punktsetzung mehr. Die Punktsetzung gehört dem System der Bedeutung an, sie ist immer semantisch; sie setzt immer einen Steppunkt (point de capiton). Deshalb orientiert sich die Praxis der Postinterpretation, die de facto tagtäglich die Deutung übernimmt, nicht nach der Punktsetzung, sondern nach dem Schnitt.
Dieser Schnitt, stellen wir ihn uns erst einmal als eine Trennung von S1 und S2 vor,  dieselbe die auf der unteren Linie des Mathems des analytischen Diskurses eingeschrieben ist: S2//S1.
Die davon abzuleitenden Konsequenzen sind grundlegend für die Konstruktion dessen, was wir die analytische Sitzung nennen.
Die Frage ist nicht die, ob die Sitzung lang oder kurz, schweigsam oder redefreudig ist. Entweder ist die Sitzung eine semantische Einheit, in der der S2 der Ausarbeitung einen Schlusspunkt setzt – Wahn im Dienste des Namen-des-Vaters – viele Sitzungen sind so. Oder die analytische Sitzung ist eine a-semantische Einheit, die das Subjekt zur Undurchdringlichkeit seines Genießen zurückführt. Das setzt voraus, dass sie bevor sie   eine Schleife gemacht hat, unterbrochen wird. 
Ich stelle hier also dem Weg der Ausarbeitung den Weg der Perplexität gegenüber. Machen Sie sich keine Sorgen, Ausarbeitung wird es immer noch dazu geben.
Ich schlage also zur Überlegung für diese Tagung vor, dass die eigentlich analytische Deutung -behalten wir das Wort bei – im entgegengesetzten Sinne des Unbewussten funktioniert.

Sie finden nachfolgend die Zusammenfassung einer von Jacques-Alain Miller gegebenen Antwort auf die Fragen der Zuhörerschaft.

Wir sind von der von Serge Cottet gestellten Diagnose über den "Untergang der Deutung" ausgegangen, die, nachdem ich sie letztes Jahr bei seinem Vortrag bei der "Section Clinique" aufgegriffen habe, den Nagel auf den Kopf getroffen hat. Er wies auf Schwierigkeiten hin, die er in die Ordnung eines gewissen Symptoms einordnete. Ich habe versucht die Lichtseite des Begriffs des "Untergangs" zu geben, der uns im Syntagma von «Größe und Dekadenz", in seiner Schattenseiten, einnahm. Ich stelle positif dar, was bei einer ersten Analyse wie ein Untergang der Deutung erscheint. Ich sublimiere diesen Untergang der Deutung in die postinterpretative Deutung. Wann also hat diese Praxis begonnen ? Mit Freud selbst, man kann nicht umhin das zu erkennen.

 

NOTE
Dieser Vortrag war von mir im Programm der Tagung mit dem Titel "Die Kehrseite der Deutung" angekündigt worden, und wurde in drei Sätzen präsentiert: "Die Deutung ist tot. Man wird sie nicht wieder zum Leben erwecken. Die Praxis, wenn sie von heute ist, ist, ohne es bereits richtig zu wissen, unweigerlich postinterpretativ". Dazu gedacht eine allgemein verbreitete Meinung umzukehren, wollte diese mündliche Kommunikation einen Überraschungseffekt erzielen; sie hat dies erreicht, und weit mehr. Sie ist also ein Erfolg – oder vielleicht auch nicht...: denn: man ist, mit dem ganzen hin und her der Frage ausgewichen.

Cf. Dazu eine erste Bemerkung, "Das Vergessen der Deutung", erschienen in La Lettre mensuelle, n°144, Dezember 1995, Seite 1-2.
Der vorliegende Text, ist von C. Bonningue erstellt und von mir nachgelesen worden: ich habe kaum etwas korrigiert. - J.A.M.

Übersetzung: Susanne Hommel, Paris; Alexandra Fehlauer, Paris; Harold Dielmann, Köln

Rechtshinweis